Ich versuche mal, das etwas detaillierter auszuführen, weil die Ölmultis sich als Beispiel für eine allgemeine Investment-These so gut eignen.
Royal Dutch Shell hat ein (durchaus branchenübliches) KGV von etwa 8,3. Nun sind 100 / 8,3 = 12% erwirtschaftete Rendite auf das vom Aktionär eingesetzte Kapital.
Beim Aktionär kommen jedoch nur 5% an (6% Dividende minus 1% jährlich schrumpfende Gewinne und damit langfristig auch schrumpfende Aktienkurse).
Entscheidend für den Investor ist aber nun mal, dass das Unternehmen in seinem Sinne wirtschaftet – wichtig ist also, was hinten raus kommt. Und wenn sich von 12% erwirtschaftetem Gewinn mehr als die Hälfte in Luft auflöst, dann finde ich das nicht so prickelnd.
Ein Unternehmen kann mit dem erwirtschafteten Gewinn unterschiedliche Dinge anstellen:
1. Ausschütten einer Dividende
Nicht die ideale Lösung, weil der Gewinn dabei zwei Mal besteuert wird (zuerst im Unternehmen und dann noch einmal beim Aktionär) und in vielen Fällen wieder investiert werden soll (was dann sowohl Bank- als auch Börsengebühren verursacht).
Aber immerhin hat man dann knappe drei Viertel des Gewinns sofort auf dem eigenen Konto (was zumindest im Fall von Royal Dutch Shell keine so schlechte Idee zu sein scheint, wenn man sich die Alternativen ansieht).
Würde Royal Dutch Shell seinen kompletten Nettogewinn in Form einer Dividende von 12% ausschütten, dann fände ich die Aktie daher deutlich attraktiver.
12% Rendite für ein reines Öl-Investment bekomme ich andererseits aber auch bei Staatsanleihen Venezuelas… hm.
2. Rückkauf eigener Aktien
Dadurch schrumpft die Anzahl der Aktien und der Gewinn pro Aktie steigt (selbst wenn der Gewinn des Unternehmens stagnieren mag wie bei Royal Dutch Shell). Letzten Endes eine minimal bessere Variante der Dividendenausschüttung (durch Vermeidung der Wiederanlagegebühren und Verlagerung der Besteuerung in die Zukunft).
Es gibt Unternehmen mit niedrigem KGV, die durch massive Rückkäufe ihre Gewinne (und Dividenden!) kontinuierlich steigern können; bekanntestes Beispiel dürfte IBM sein (eine Buffett-Aktie!), das gerade angekündigt hat, einen kompletten Jahresgewinn in Aktienrückkäufe investieren zu wollen – angesichts des zuletzt schwachen Kursverlaufs eine ziemlich gute Idee, wie ich finde. Auch Apple scheint inzwischen mit diesem Gedanken zu spielen – Geld liegt im Konzern ja reichlich ungenutzt herum.
Beide Lösungen lassen jedoch vermuten, dass das Unternehmen kein funktionierendes Geschäftsmodell hat, in dem es dieses Kapital besser rentierlich investieren könnte, als der Aktionär selbst das kann. Und dies wiederum kann eigentlich kein Argument dafür sein, die Aktie besitzen zu wollen.
Letztlich hilft es aber, immer selbst nachzurechnen, welches Gewinnwachstum bei einem Unternehmen herausgekommen ist (und laut Analysten-Konsens für die nächsten Jahre erwartet wird).
Und es kommt immer auch auf die konkrete Umsetzung an, ob eine Idee funktioniert oder nicht: Aktienrückkäufe zu Höchstkursen (die bei manchen Unternehmen üblich sind, weil deren Top-Manager mit Aktienoptionen bezahlt werden, deren Kurs durch solche Rückkäufe zusätzlich nach oben manipuliert werden kann) finden meinen Beifall keineswegs.
3. Investition ins eigene Geschäftsmodell
Wenn das Unternehmen zusätzliches Kapital durch eigene Investition so investieren kann, dass dadurch der Gewinn pro Aktie überdurchschnittlich gesteigert werden kann, dann halte ich es nicht für sinnvoll, das Kapital auszuschütten. Wobei “überdurchschnittlich” sich am durchschnittlichen Markt-KGV von 12-16 orientieren muss – die Investition muss also zumindest mehr als 6-8% Rendite abwerfen. (Wenn ein Unternehmen mit einem KGV von 16 seinen Gewinn also um mehr als 8% jährlich steigert, dann macht es irgendetwas schon ziemlich richtig, weil es besser abschneidet, als wenn es seinen Gewinn komplett ausschütten und operativ stagnieren würde.)
Das Problem dabei ist, dass solche Investitionen mit einem entsprechenden unternehmerischen Risiko behaftet sind – bekannte aktuelle Beispiele dürften ThyssenKrupp und Kali + Salz sein.
Aber wenn ich der Unternehmensführung nicht zutraue, mit den erwirtschafteten Gewinnen sinnvoll umzugehen, darf ich ihr dann überhaupt mein Kapital anvertrauen?
4. Zukäufe und Übernahmen
Eine Variante von 3., oftmals mit dem Vorteil behaftet, dass es schneller geht, ein anderes Unternehmen zu kaufen, als ein Konkurrenzunternehmen zu gründen. Wenn das übernommene Unternehmen etwas taugt, dann bekommt man ggf. Markenrechte + Patente, Produktionsstätten + qualifizierte Mitarbeiter und Kundenbeziehungen + Vertriebswege auf einen Schlag. Und all dies selbst aufzubauen, das ist eben auch mit einem beträchtlichen Risiko behaftet, wie die gescheiterten Auslands-Expansionen diverser Unternehmen zeigen.
Nachteil der Methode ist, dass die bisherigen Besitzer des zu übernehmenden Unternehmens nur dann einen Grund haben, diesen Besitz aufzugeben, wenn man ihnen einen stattlichen Preis dafür bietet. Eine entsprechende Übernahmeprämie ist also unvermeidlich – und die vom Käufer oftmals zunächst verzögerte Abschreibung dieses “goodwill” kann für Schwankungen beim Nettogewinn pro Aktie des kaufenden Unternehmens sorgen. (Deshalb mag ich Unternehmen wie Bayer nicht, die bevorzugt “bereinigte” Gewinne veröffentlichen und dadurch z. B. die Abschreibung für die teuere Schering-Übernahme zu vertuschen versuchen.)
Es gibt aber zahlreiche funktionierende Unternehmen, bei denen Übernahmen ein zentrales Element des Geschäftsmodells sind – ich nenne als Beispiele mal Fresenius (das sich gerade drei Viertel des Rhön-Klinikums einverleibt) oder Oracle (das seit Jahren praktisch seinen kompletten Gewinn in Übernahmen steckt). Beide schütten eine eher symbolische Dividende von kaum mehr als 1% des Aktienkurses aus, wachsen aber im deutlich zweistelligen Prozentbereich pro Jahr. Welche reine Dividendenaktie kann mit einer solchen Performance mithalten?
Das reinrassigste Unternehmen dieser Art ist übrigens Berkshire Hathaway, also Warren Buffetts Investment-Vehikel, das aus Prinzip keine Dividenden ausschüttet, weil es sich für besser als den Markt hält. Allerdings hat dieses (ziemlich versicherungs-lastige) Konglomerat seinen Gewinn pro Aktie von 2006 bis 2012 nicht steigern können, was mich angesichts eines KGV von fast 18 doch ziemlich enttäuscht.
Zurück zum Öl: Was auch immer Royal Dutch Shell mit der anderen Hälfte seines Nettogewinns auch anstellt: Er kommt nicht beim Aktionär an.
Wenn ich aber effektiv nur 5% Rendite erwarten darf, muss ich dann das Risiko eines auch noch zyklischen Aktieninvestments eingehen, wo Kurs- und Gewinnschwankungen in Abhängigkeit eines doch relativ volatilen Rohstoffs (des zentralen “Schmierstoffs” der Weltwirtschaft) auftreten können (und werden)? In dieser Rendite-Größenordnung werde ich im Anleihen-Segment durchaus noch fündig.
Und das Problem ist keineswegs auf Royal Dutch Shell beschränkt. Exxon Mobile schüttet 3% Dividende aus und hat 2006-2014 ein jährliches Gewinnwachstum von 3% geschafft (seit 2011 aber rückläufige Gewinne), das sind in der Summe auch nur 6%. BP, Total, ENI, Repsol, Statoil schütten alle über 5% Dividende aus, aber das Gewinnwachstum liegt bei bestenfalls +1% (und teilweise deutlich unter Null).
Chevron schüttet nur 3% Dividende aus, liegen aber in meiner “Ölrangliste” an der Spitze, weil es seinen Gewinn pro Aktie um 6% pro Jahr steigern konnte – leider liegt der Gewinn-Gipfel erneut im Jahr 2011, seitdem ist das Wachstum auch bei Chevron negativ geworden.
Die ganze Ölbranche kommt mir vor wie ein Formel-I-Auto mit der falschen Bereifung: Die Unternehmen bekommen ihre immensen Gewinne einfach nicht auf die Straße, d.h. ins Portfolio ihrer Besitzer (denn das sind die Aktionäre nun mal). Da helfen die auf den ersten Blick verlockend aussehenden KGVs und Dividendenrenditen auch nicht weiter.
Es ist bei den Ölwerten nicht ganz so schlimm wie bei den Banken und Versicherungen (mit ähnlich niedrigen KGVs und bis zur Finanzkrise ähnlich attraktiv aussehenden Dividendenrenditen), aber es geht doch in eine ähnliche Richtung: Das Investmentrisiko der Aktien einer British Petroleum und einer Deutschen Bank halte ich für durchaus vergleichbar.
Bei den Finanzwerten gibt es aber wenigstens schwankungsärmere Nachrang-Anleihen als Alternative (mit im Vergleich zu den Ölaktien-Dividenden immer noch sehr ordentlichen Renditen).